Report

Rede auf der Friedensdemo von Fridays For Future Lünen und der LIGA
am 25. März 2022

Bevor ich beginne, meine Gedanken mit euch zu teilen, würde ich gerne eine Trigger Warnung aussprechen – im Folgenden wird es um Rassismus, Flucht- und Gewalterfahrungen und um Tod gehen. Und ich würde gerne klar stellen, dass ich all das als weiße, privilegierte Person mit deutschem Pass schreibe. Meine Perspektive ist hauptsächlich durch Gespräche hier auf Lesbos entstanden, wütende, verletzte Gespräche mit Menschen mit Fluchterfahrung, in die ich heute einen Einblick geben möchte. Deswegen ist der Bezug zu dem Thema auch recht einseitig an die Situation auf Lesbos bzw. an der griechischen Außengrenze geknüpft – leider gibt es vergleichbare Situationen auch anderswo und diese Perspektive ist definitiv nicht die einzige, aus der der Umgang mit diesem Krieg kritisiert werden kann und sollte. Das hier ist lediglich ein Bruchteil, ein kleiner Einblick.


Ich bin wütend. So, so wütend.


Es ist gut zu sehen, dass Menschen Solidaritätsstrukturen organisieren und dass Regierungen ihre Grenzen für Flüchtende aus der Ukraine öffnen. Es ist gut und es ist notwendig.


Und es macht mich aber eben auch sehr wütend.
Denn ich denke an diejenigen, denen diese Gefühle der Empathie und diese Handlungen der Solidarität verwehrt werden – auf Grund von Rassismus. Ich denke an die vielen Menschenleben, die durch eine ähnliche Reaktion und Herangehensweise in den letzten Jahren hätten gerettet werden können. Ich denke an die vielen Menschen, die sterben mussten, weil ihnen nicht das Gleiche zugestanden wurde, was nun Ukrainer*innen zugestanden wird.


Es ist so unglaublich degradierend und ekelhaft, was für eine Klassifizierung die EU hier gerade an Menschen vornimmt.


Seit dem russischen Angriff schwirren in internationalen Medien des globalen Nordens Videos und Texte herum, in denen sowohl Berichtende als auch Politiker*innen so etwas sagen wie „dass die Ukraine ja relativ zivilisiert sei, wir könnten sie ja jetzt nicht einfach mit dem Irak oder Afghanistan vergleichen“ (CBC News). Oder dass das hier ja nicht „die übliche Flüchtlingswelle“ (Bulgarischer PM) sei. Oder „dass es halt diesmal anders läuft weil die unserem Kulturkreis näher sind“ (ARD, Hart aber fair).


Und diese Unterscheidung wird auch in ganz konkreten politischen Handlungen vorgenommen. Die EU-Richtlinie 2001/55/EG zum Beispiel wurde wenige Tage nach dem Angriff auf die Ukraine aktiviert. Bei Aktivierung sorgt die Richtlinie dafür, dass Schutzsuchende aus einem bestimmten Land unkompliziert Aufenthaltstitel, Arbeitserlaubnisse und soziale Absicherung erhalten, sich ihren Aufenthaltsort in der EU auswählen und somit das Dublin-Verfahren umgehen können. Das heißt, es gibt eine fertig ausgearbeitete Richtlinie, die eine unbürokratische Verteilung von Geflüchteten innerhalb der EU regelt. Diese Richtline existiert seit 2001. Aber 2015 oder in all den Jahren danach wurde sie nicht aktiviert.


Stattdessen werden Menschen an den EU-Außengrenzen festgehalten, kriminalisiert und erfahren Gewalt und Diskriminierung. Illegale Pushbacks passieren hier eigentlich wöchentlich.

Ich habe Freund*innen, die seit Jahren hier auf Lesbos festgehalten und dazu gezwungen werden, unter unmenschlichen Bedingungen zu leben, die mir nun erzählen, wie unglaublich schmerzhaft es für sie gerade ist, immer wieder zu hören, dass sie ja nicht mit den „blonden, blau-äugigen, christlichen, zivilisierten“ Flüchtenden vergleichbar seien. Wie schmerzhaft es ist, zu sehen, was möglich wäre. Es wird ihnen offen ins Gesicht gesagt: Du hast es nicht verdient nach Europa zu kommen. Es lag nie an den Kapazitäten der EU, es lag immer nur an unseren Vorurteilen.


Es tut weh, der EU nun dabei zuzusehen, wie sie sich als menschliche Retterin der Flüchtenden darstellt. Es tut weh, weil es so ein riesiges „Fuck you“ in die Gesichter all derjenigen ist, die an den Außengrenzen der Festung Europa festgehalten werden oder dort ihr Leben verloren haben.


Annalena Baerbock sagte am 24. Februar: „Wir sind heute in einer anderen Welt aufgewacht.“ Sind. Wir. Nicht. Ja, wir sind aufgewacht und in der Ukraine herrscht ein Angriffskrieg. Und dieser Krieg ist grausam und furchtbar und fordert so viele Opfer. Aber dieser Krieg resultiert eben aus genau dieser Welt. Aus dieser Welt mit ihren imperialistischen, kapitalistischen, patriarchalen Strukturen.


Vier Tage nach dem Angriff auf die Ukraine wurden mehrere Körper an den Strand con Lesbos gespült. Das Camp, das wohl am besten bekannt ist unter dem Namen „Moria 2“, wird mehr und mehr zu einem Gefängnis, mit begrenzten Ausgehzeiten und immer wieder vollständig geschlossenen Tagen. Geflüchtete auf Lesbos haben seit September nichts von der vorgesehenen finanziellen Unterstützung durch den Staat bekommen. Gleichzeitig kostet es nun 100€ pro Person, ein Asylverfahren nach einer Ablehnung erneut zu eröffnen.


Wir sind an diesem Morgen im Februar in der selben EU aufgewacht, die sich an Kriegen beteiligt und diejenigen, die vor eben diesen Kriegen fliehen, schlimmer als Gefangene behandelt. Wir sind in der selben EU aufgewacht, deren Außengrenzen töten.


Wer für eine der Solidaritätsstrukturen auf Lesbos spenden will, kann dies für das „No Border Kitchen“ Kollektiv tun. „No Border Kitchen“ ist eine selbst organisierte Gruppe von Menschen ganz verschiedener Hintergründe, die Menschen hier unabhängig von den Camp Strukturen mit Essen und weiterem Support unterstützt. Einen Einblick in ihre Arbeit geben die Mitarbeiter*innen in ihrem Blog: https://noborderkitchenlesvos.noblogs.org/


Spenden werden dringend benötigt und könnten an folgendes Konto überwiesen werden:
Stichting Feniks, IBAN NL40 TRIO 0320 2772 16 (SWIFT Code / BIC TRIONL2U)
Verwendungszweck: “NBK“
Vielen Dank!

Lesedauer: 5 Min.

Autor: Ruth Kirschbaum

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