Die Aktionen der Letzen Generation polarisieren, beispielsweise bezeichnet Olaf Scholz sie als „Völlig bekloppt“ und gar zum Vergleich mit den gewalttätigen Aktionen der RAF als „Klima-RAF“ lässt sich Alexander Dobrindt aus. Grund genug für die LIGA einmal genauer auf das Phänomen Letzte Genration einzugehen.
Denn bei vielen treffen die Aktionen der Letzten Generation – wie das Bemalen des Brandenburger Tors oder das Festkleben an Bilderrahmen auf Unverständnis. Was hat das mit dem Klimawandel zu tun, fragen sich viele.
Aktionen wie das Festkleben an Privatjets auf Sylt sorgen dagegen bei vielen für ein Schmunzeln.
Fast einhellig abgelehnt wird das Blockieren von Straßen. Während die Bahnstreiks für mehr Lohn zu keinem Aufschrei in der Bevölkerung und den Medien führen. Schließlich ist es das gute Recht der Beschäftigten für mehr Lohn zu streiken.
Warum stört es also viele von uns am meisten, wenn die heilige Kuh – Auto – von den Aktionen der Letzten Generation betroffen ist?
Ich behaupte, weil es keinen Spaß macht im Stau zu stehen. Der Chef macht Druck, Termine drücken und dann sind da so junge Leute, die mich daran hindern; mich bedrängen, schließlich ist es mein individuelles Recht…als Bürger!
Kaum einer fühlt sich als Hamster im Getriebe. Warum eigentlich nicht? Ich behaupte, dass kaum jemand in der Schlange darüber nachdenkt, was wir mit unsrem Verbrauch zum Klimawandel beitragen. Sind wir tatsächlich so kopflos? Oder anders formuliert, erreichen die Aktionen der Klimakleber ihr Ziel?
Eigentlich wissen wir ja alle, dass es so nicht weitergehen kann. Denken wir nur an die Katastrophenmeldungen in diesem Sommer in Griechenland, Spanien, Libyen und Osteuropa.
Warum wehren wir uns so vehement – angeheizt durch Medienkommentare und Politikeräußerungen – gegen diese „Klimaterroristen“ etc.?
Bei ihren gewaltfreien Protestaktionen beruft sich die Letzte Generation u.a. Schriften verschiedener US-amerikanischer Wissenschaftler wie Gene Sharp, der einen handlungsorientierten Ansatz für gewaltfreie Aktionen entwickelt hat und Erica Chenoweth, deren Studien nachwiesen, dass die aktive Teilnahme von nur 3,5 % einer Bevölkerung ausreichen, damit gewaltfreie Protestformen erfolgreich sind. (1)
Zu gewaltfreien Protestformen gehören beispielsweise Flugblätter, Demonstrationen oder Straßentheater. Werden dabei bewusst Methoden eingesetzt werden, die in dem betreffenden Land gesetzeswidrig sind, handelt es sich dabei um zivilen Ungehorsam. Je nach Rechtssystem und Regierung des Landes, können die Aktionsformen zu direkten Gewaltreaktionen staatlicher Kräfte führen und strafrechtliche Konsequenzen für die Beteiligten haben. In einer Demokratie müssen diese Aktionen darüber hinaus – im Gegensatz zu einer Diktatur – immer begründet, d.h. legitimiert werden. Denn politische Entscheidungen können auch durch legales Handeln verändert werden.
Der gewaltfreie Protest von Fridays for future hatte bislang wenig Erfolg. Den Glauben durch legale Protestformen die Klimakatastrophe aufhalten zu können, scheint die Letzte Generation verloren zu haben. Wen wundert es!
Sie bekennt sich zur Illegalität der Aktionen. Sie übernimmt auch öffentlich die Folgen dieses Rechtsbruchs und akzeptiert damit die Gesetze. Warum können wir ihnen aber nicht ganz folgen? Vielleicht ist es ja der Zweifel an der Begründung der Aktionen.
Die Letzte Generation begründet ihren zivilen Ungehorsam unter anderem mit Thoreau. (2). Der US-Amerikaner vertrat in seiner Schrift über die Pflicht zum zivilen Ungehorsam eine eher individualistische Sichtweise und berief sich auf sein Gewissen. Der Bürger könne dem Staat den Gehorsam verweigern, wenn unter seiner Regierung Dinge geschehen, die Menschen aus Gewissengründen nicht mittragen wollen. Er entwarf seine Schrift in den 1840er Jahren als er im Gefängnis saß, da er sich geweigert hatte, Steuern an einen Staat zu bezahlen, der die Sklaverei rechtfertigte. Sein Wahlspruch lautete, „die beste Regierung ist die, welche am wenigsten regiert.“ Das Problem dieser Position: Ohne eine funktionierende Regierung und Politiker, die den Mut haben, auch unbequeme Entscheidungen zu treffen, werden wir die Klimakatastrophe nicht aufhalten können. Dafür braucht es offensichtlich den Druck der öffentlichen Meinung.
Wesentlich klarer wird der zivile Ungehorsam in der politischen Philosophie begründet (John Rawls / Jürgen Habermas). Für eine Begründung von Aktionen des zivilen Ungehorsams reicht es nicht allein nur sein Gewissen zu befragen. Grundlage des zivilen Ungehorsams ist, dass ich die demokratischen Basiswerte mit gemeinsamen Gerechtigkeitsvorstellungen anerkenne. „Es muss demnach bei den protestierenden (Staats-) Bürgern der Eindruck bestehen, dass der Geist dieser Grundprinzipien durch reale Politik verletzt wird.“ (3) So bricht der Staatsbürger das Gesetz im Rahmen der rechtsstaatlichen Ordnung. (4)
Angesichts des Klimagesetzes der Bundesregierung, die gerade den Verkehrssektor von den verpflichtenden Klimazielen entbindet, liegt also bei der Letzten Generation ein legitimer Gewissensnotstand vor. Sie als Terroristen zu bezeichnen, zeugt also nur von politscher Unkenntnis!
Allerdings verfehlt die Letzte Generation mit ihren Aktionen das wesentliche Ziel des zivilen Ungehorsams. Dieses ist die Öffentlichkeit zu erreichen, die Politik und die Bürger zum Umdenken zu bewegen.
Sich an Gemälde zu kleben oder das Brandenburger Tor gelb anzumalen oder sich auf Straßen zu kleben, genau damit erreichen sie ihr Ziel offenbar nicht. Es wird eben nicht über das Klima diskutiert, sondern über die Folgen der Aktionen der Letzten Generation.
Denn es kommt darauf an Protestformen zu wählen, die jeder Staatsbürger verstehen kann, damit diese kritische Öffentlichkeit die Politiker zum Handeln zwingt.
1 Marlene Knobloch (27.09.2023): Letzte Generation. Die rationale Radikale. Süddeutsche Zeitung Verlag
2 Henry David Thoreau (1849): Von der Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat.
3 Prof. Dr. Armin Pfahl – Traughber (2023): Die Protestform des zivilen Ungehorsams. BpB Lizenz CC-BY-NC-ND 4.0
4 ebenda S. 5
Lesedauer: 10 Min.
Autor: Gisela Weiß
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